April 2002 -
Phugmoche ist zehn Jahre alt

 

 

An einem strahlenden Apriltag grüßen die Heiligen Berge Numbur und Karyolang die kleine Ab­ordnung aus Deutschland. Rechtzeitig zum Ende unserer Reiseplanungen waren die Nachrichten von neuen blutigen Unruhen in Nepal in unseren Zeitungen und im Inter­net zu lesen. Die Deutsche Botschaft in Kathmandu riet zur Vorsicht.

 

Die meisten der zunächst begeisterten Interessenten an dieser Jubiläumsreise ent­schieden sich, zu Hause zu bleiben. Nur vier un­erschrockene 'Patentanten', Doris und Marianne aus Deutschlands Süden und Birgid und Sigrun aus dem Norden, begleiteten uns, die wir vor zehn Jahren zusammen mit Ngawang Jinpa Lama in dem kleinen Kloster Phugmoche die Schule gegründet hatten; wir, das sind Anneliese und Werner Dietrich. Sigruns Tochter Silke mit ihrem Mann Klemens verstärkten die kleine Gruppe.

 

Silke ist Lehrerin in Hamburg und hat im Herbst vergangenen Jahres als Praktikantin in Phugmoche ge­arbeitet - gerade als Ende November die Maoisten in Salleri das Verwaltungs­zentrum zerstörten. Auf beiden Seiten, bei den Maoisten und auch bei Polizei und Armee, gab es viele Todesopfer. Salleri ist nur eine halbe Stunde Fußmarsch von unserem Flugplatz in Phaplu entfernt und liegt etwa sechs Gehstunden südlich von Phugmoche.

 

 

Ein wenig vorsichtig noch klettern wir aus dem kleinen, sechzehn Passagiere fassenden Flug­zeug der Shangri-La Airlines. Die Lehrer Namgyal und Motiram empfangen uns, sicht­lich dank­bar dafür, daß wir zu ihnen ans 'Ende der Welt' gekommen sind. Der Lama selbst kann als einer der Haupt­akteure im großen Dumjhe-Maskentanzfest das Dorf Junbesi nicht ver­lassen. Junbesi ist der zentrale Ort der Solu-Sherpa. Frühlings­sonne, blühende Bäume, die gleißend weißen Gipfel der Schutz­götter unserer freund­lichen Weg­begleiter lassen uns die Be­drohung bald ver­gessen. Nach gut drei Weg­stunden sehen wir jenseits des schattigen Nadel­waldes das frühlings­grüne Dorf Junbesi zwischen den mächtigen Baum­stämmen hindurch­schimmern.

Hier warten Ngawang Jinpa Lama und unser großer Schüler Kusang auf uns. Aber auch andere ver­traute Gesichter be­grüßen uns mit offener Freude. Von überall ruft es namaste, namaste, willkommen! Viele alte Freunde aus Europa sind in die­sen unr­uhigen Zeiten dem Tal fern­geblie­ben.

Selbst auf dem heiligen Stupa am Dorf­eingang haben die Maoisten die rote Flagge mit Ham­mer und Sichel gehißt, und an der Mauer der Schule steht zu lesen: Long live People's War. Jemand hat das Wort 'War' durch­ge­strichen.

Noch am selben Abend leiten unter den Augen des goldglänzenden Ödpamed, Buddha des West­lichen Paradieses, die alter­tümlichen Schwarz­hut­zauberer, die Shanag, das Tanz­drama im Tempelhof ein.

Die Shanag sind die geheimnisvollen Meditations­meister des tibetischen Cham-Masken­tanzes.

Mahakala, der Große Schwarze Schutz­gott, und die löwen­köpfige Senge Doma, Herrin über Leben und Tod, flößen Furcht ein. Mit weit aus­holen­den Schritten tanzen sie in der Dunkel­heit der Nacht zu den schrillen oder dröhnen­den Klängen von Becken, Bein­trompeten und Schellen.

   

Auf dem Opferaltar leuchten 108 Butter­lampen. Sie umrahmen die Ersatz­opfer, in deren Mittel­punkt eine aus Teig ge­formte Männer- und eine Frauen­gestalt stehen: Pho-Mo-Lud.

Die Versammlung der Shanag und der Gott­heiten vollzieht das Opfer in der düsteren Neumond­nacht. Die Figuren, in die die Shanag die zerstörerischen Kräfte hinein­gebannt haben, werden unter ab­schrecken­dem Pfeifen und Rufen aus dem Dorf ge­tragen. Die Zere­monie wirkt ernster, ein­dringlicher als in den Jahren zuvor. Es gilt, eine massive Bedrohung ab­zu­wenden.

 

 

Zuschauer im Feststaat oder barfüßig wie dieser Junge, sehen fasziniert zu.

Wir verlassen Junbesi und wandern zu unserer Schule nach Phugmoche hinauf, die neben dem kleinen Kloster hoch oben auf einem riesigen Felsen thront.

 

Am steilen Hang, unter blühen­den Rhododen­dren, er­warten uns der Lama, die Schüler und ihre Lehrer.

 

 

Die rot gekleideten älteren Schüler, die die Religions­klasse besuchen –

 

unsere Mädchen, groß und klein, und unsere kleinen Jungen, alle herausgeputzt im tradi­tionellen Schul­kleid,.

In der hellen Aprilsonne begegnet uns die Tanz­gruppe des Sechzehn-Häuser-Dorfes Pangkarma.

 

Unten am Fuß des Felsens und oben am Ein­gang zur Schule heißen uns Trans­pa­rente will­kommen.

Die Geistlichkeit hat vor den Schul­gebäu­den Platz genommen.

 

Lama Tenzing aus Junbesi leitet die Zeremonie und segnet die Teil­nehmer an den Fest­dar­bietun­gen.

 

 

 

Die Lehrerinnen und die Lehrer erfreuen die Gäste mit einem Lied.

 

Dann überreicht Lama Tenzing Anneliese Dietrich eine in Messing gravierte Urkunde in einem ge­schnitzten Holz­rahmen, ge­schmückt mit einem weißen Ehren­schal: 'Witness to Excellence'. Hier steht zu lesen, welchen Segen das Projekt dem Tal ge­bracht hat. Mit der Schule haben wir den Kindern aus armen Eltern­häusern nicht nur den Weg zur Bildung bereitet, sondern durch Gesundheits­fürsorge und Erziehung zur Hygiene ihre gesamte Ent­wicklung positiv beeinflußt.

Unsere Paten und Spender sitzen auf Ehren­plätzen und werden mit Transparen­ten ge­würdigt.

 

Vater Kaji Sherpa aus dem winzigen Berg­nest Sungjingma: fünf, sechs Häuser und ein Tempel, spricht für das School Manage­ment Committee. Er dankt be­geistert und fügt hinzu: "Unsere Kinder haben eine wunder­bare Chance - leider bin ich selber zu früh ge­boren und für die Schule zu alt!".

 

Lehrer Govinda erfreut uns wort­gewandt mit einer launigen, doch angemessen respekt­vollen Rede.

 

 

Die jungen Leute aus Pangkarma tanzen nicht nur, sie singen auch mit kräftigen, melo­di­schen Stimmen wie wir sie aus dem tibetischen Hoch­land kennen.

Ein wenig abseits sehen Lehrerin "Nyima-Miss" und Lehrer "Namgyal-Sir" zu, er­leich­tert da­rüber, daß die Zeremonie so reibungs­los ver­läuft.

 

Der inoffizielle Teil:

 

Die Gäste aus Deutschland haben Süßigkeiten mit­gebracht, eine seltene, doch hochgeschätzte Leckerei, die sofort verschlugen wird – ob das Bauchweh gibt?

Mit anmutigen Bewegungen bieten die kesse Tsering Dolma aus Pangkarma und die hübsche Chyoti aus dem südlichen Sherpa­land mit ihren Tanz­partnern, Chepal von der Yakalm und Sonam vom Tragsindu-Paß, einen Tanz aus dem nepa­lischen Hügel­land dar.

 

Zum Abschluß ehren unsere großen Schüler Rinji und Ang Nyima aus Pangkarma mit dem alter­tümlichen Hoch­zeits­tanz mit Schwert und Yakwedel die aus dem fernen Osten Tibets mit­gebrachten Schutz­götter der Sherpa: Pho-Lha und Dra-Lha. Neben seinen Pflichten als Schüler gibt Rinji Unter­richt in der Tradition und in der Mutter­sprache der Sherpa. Er ist 'Sherpa-Volunteer'.

Wir nehmen Abschied von Phugmoche mit seinen Rhodorendron-Bäumen in ihrer üppi­gen Blüten­pracht und vom herr­lichen Solu-Tal.

 

Unsere Gedanken sind bei den Kindern in Phugmoche, das sich in zehn Jahren zur schönsten Schule entwickelt hat, die wir in Nepal gesehen haben. Die Kinder widmen sich mit Ernst dem Lernen: sie haben begriffen, daß sie in die Schule gehen  d ü r f e n. Wir haben groß­artige, enga­gierte Lehrer. Die Leistungen unserer Mädchen und Jungen sind im Allgemeinen so gut, daß sie bei einem Schul­wechsel zu den besten in ihrer neuen Klasse gehören.

 

Hier, am Ende der Welt, im letzten Tal unter den Eisgipfeln der höchsten Berge unserer Erde, haben wir ein wunderbares Projekt geschaffen. Das erfüllt uns mit Freude und Dank­bar­keit - und trotz aller bedrohlichen Zeichen: mit Hoffnung.

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